B&T STATEMENT PIECE l Bei unserer andauernden Recherche, wie wir aufrichtig und dauerhaft anti-rassistisch agieren können, haben wir festgestellt, dass in dieser Auseinandersetzung immer wieder Begriffe auftauchen, die für uns neu waren oder auf denen es sich lohnt, herumzudenken. Um euch den Einstieg zu erleichtern, haben wir deshalb einige Begrifflichkeiten für euch aufgeschrieben, die uns geholfen haben, uns intensiv mit unserer Rolle im gesellschaftlichen, strukturellen sowie institutionellen rassistischen System auseinanderzusetzen. Vielleicht seid ihr schon Expert:in auf diesem Gebiet. Vielleicht ist aber auch die ein oder andere neue Begrifflichkeit für Euch dabei…
Bevor es losgeht: Seit den Vorkommnissen in den USA und dem Erstarken der #blacklivesmatter Bewegung haben wir uns viel mit der Frage auseinandergesetzt, welche Rolle Rassismus in der Modeindustrie spielt. Hier stecken wir aktuell knietief im Lern- und Rechercheprozess. Dieses Lexikon fungiert deshalb als Vorarbeit zu einem bald folgenden Blogbeitrag zur Verflechtung von Rassismus und Mode.
Ally (-ship)
„Activism can’t begin and end with a hashtag!“ (Holiday Phillips). Ally ist englisch für Verbündete:r, Unterstützer:in und bezeichnet eine weiße Person, welche ihre Privilegien nutzt, um BIPoC zu unterstützen und langfristig einen gesellschaftlichen Wandel hin zu einem gerechteren und diverseren System zu schaffen. Es findet eine ernsthafte Auseinandersetzung mit dem Thema Rassismus, auch den in der eigenen Person vorhandenen, internalisierten Rassismen statt. Denn: „Allyship is language, and being a co-conspirator is about doing the work. It’s taking on the issue of racism and oppression as your own issue, even though you’ll never truly understand the damage that it does.” Ben O’Keefe, Aktivist
Blackfacing
Bezeichnung für das Anmalen des Gesichts mit schwarzer Farbe. Dabei handelt es sich um einen rassistischen Stereotyp des sogenannten ‚Jim Crow‘ – eine im 19. Jahrhundert in den USA gebräuchliche Bezeichnung für einen tanzenden, singenden, als dümmlich dargestellten Schwarzen, der als Showeinlage in den „Minstrel Shows“ ein beliebtes Sujet war. Damals wie heute ein No-Go eines humoristischen Rassismus und Symbol für die Diskriminierung der schwarzen Bevölkerung über das Ende der Sklaverei hinaus.
Blackfishing
Weiße Personen inszenieren sich mittels Make-Up, Solarium, Tanning-Spray, Perücken oder Body-Modification als BIPoC. Prominente Personen, denen diese Taktik immer wieder vorgeworfen wird, sind z.B. Ariana Grande, die Kardashian Familie, Shirin David, Iggy Azalea. Das Problem dabei ist, dass Schwarzsein auf eine reine Äußerlichkeit reduziert wird, die Weiße wie ein Accessoire an- und ausziehen. Der Fakt, dass mit der schwarzen Haut Diskriminierung, Ausgrenzung und Nachteile verbunden sind, wird ignoriert.
Calling out
Englisch für jemanden/etwas benennen oder entlarven. Hier geht es darum, fadenscheinigen, performativen Aktionismus zu erkennen und darauf aufmerksam zu machen. Also zB Labels zur Verantwortung zu ziehen, welche nur aus eigennützigem Antrieb heraus, etwa zur Imagepflege, anti-rassistische PR-Statements abgeben. Oder welche nach wie vor Arbeiter:innen im globalen Süden ausbeuten, indem sie Bestellungen für bereits produzierte Waren aufgrund von COVID-19 nicht bezahlen, was schwerwiegende Folgen für die Betriebe in Entwicklungsländern hat. Lest mehr dazu hier: Stop Supporting Racist Fashion Brands!
Co-Kreieren
Zusammen sind wir weniger allein. Sucht Gleichgesinnte, mit denen ihr anti-rassistische Themen bewegen könnt. Sich gegenseitig zu unterstützen, voneinander zu lernen und sich gemeinsam für eine Zukunft – frei von Rassismus – stark zu machen, ist Ziel des Begriffs Co-kreieren.
Ernsthafter Aktionismus
„[B]eing an antiracist is an action, it’s a verb. It’s not something that you just learn and you stop, it’s about how you change your behavior every day, every week, every month, every year to move your community, your family, yourself toward a more just and equitable society.” Leslie Mac, Aktivistin
Im Fokus steht nicht die handelnde Person, sondern das langfristig angestrebte Ziel. Also nicht nur temporär, sondern ernst- und dauerhaft innerhalb des Systems eine Veränderung zu bewirken. Dazu gehört eine intensive Beschäftigung mit Rassismus (in allen Lebensbereichen) sowie das Sammeln und Weitergeben von Wissen. Was einen ernsthaften von einem performativem Aktionismus unterscheidet, lest ihr in diesem großartigen Artikel von Jennifer Hauwede auf dem Blog der Fashion Changers.
Marginalisierung
Bezeichnet das Abdrängen von Bevölkerungsgruppen an den „Rand der Gesellschaft“ mit Folgen der politischen, wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Ausgrenzung. In diesem Zusammenhang bezieht es sich auf die systematische Benachteiligung von BIPoC aufgrund ihres äußeren Erscheinungsbilds, ihrer Werte, Religion, Kultur, etc. – ein Phänomen, das auch in der Modeindustrie häufig anzutreffen ist. Schwarze Frauen und Männer sind kaum präsent oder lediglich Vorzeigeobjekte, um die Marke, das Magazin, als offen und divers zu positionieren. Es wird sogenannter Tokenism (siehe Definition) betrieben.
Oligarchie
Bezeichnet eine Herrschaft der Wenigen. In Bezug auf die Fashion-Medien wird der Begriff v.a. in Bezug darauf diskutiert, dass diese maßgeblich von einer weißen Elite geführt werden. Diese Gruppe nutze – bewusst oder unbewusst – ihre Vormachtstellung, um die Homogenität in der Modewelt zu erhalten. Sie definieren das feminine Schönheitsideal, das v.a. eines des globalen Nordens ist, in Mode-Zeitschriften und wirken damit auf den Geschmack aller ein, die sich davon beeinflussen lassen.
Performativer Aktionismus
Bezeichnung für eine Haltung, bei der sich Personen als handelnd, wirksam, aktiv inszenieren, jedoch nicht aus einem aufrichtigen Motiv heraus, sondern aus Gründen der medialen Aufmerksamkeit, Imagepflege, Positionierung auf der „moralisch richtigen Seite“.
„The performatively woke person takes up a lot of space. The ally makes space. It’s a crucial difference.” Eric Peterson
Als Beispiel hierfür gilt die vielseitig kritisierte #blackouttuesday-Bekundung, welche trotz vieler guter Intentionen teilweise eher einer „Mitläufer-Aktion“ glich, da bei den Wenigsten die antirassistische Arbeit über das Posten der schwarzen Kachel hinausging. Hier geht es zu einem emotionalen Kommentar zum Thema „performative allyship“ von Tanya DePass.
Safe Spaces
Austauschplattformen/-treffen für marginalisierte Gruppen wie BIPoC an einem sicheren Ort, die frei von Alltagsrassismus sind und das Führen von kontroversen Diskussionen in der eigenen Community ermöglichen (z.B. an Universitäten, in Unternehmen etc.).
Silencing
Strategie, um andere Personen zum Schweigen zu bringen, sie zu unterdrücken und zu diskriminieren. Es existieren unterschiedliche Methoden des Silencing: von der kritischen Äußerung über Emotionen wie Wut/Ärger einer von Rassismus betroffenen Person (Akzeptanz der aktuellen Situation, eine friedliche Kommunikation wird eingefordert) bis zur verbalen und physischen Bedrohung. Zweck ist es zu kontrollieren, was gesagt werden darf und was nicht, um das bestehende System, welches die eigenen Privilegien sichert, zu erhalten.
Slacktivism
Ähnlich wie performativer Aktivismus bezeichnet Sklacktivism eine Haltung, bei der – öffentliche – Aktionen vor allem mit der Absicht unterstützt werden, „sich selbst als wirksam, „wach“ und aktiv wahrzunehmen und inszenieren zu können.“ Fashion Changers.
Tokenism
Bezeichnet eine Alibi-/Symbolposition, bei der Quotenschwarzen als trojanisches Pferd genutzt werden. Ein gutes Beispiel hierfür ist die Arbeitswelt: viele Firmen stellen BIPoC nach wie vor nur als ein, um sagen zu können: “Wir haben eine schwarze Person im Unternehmen.” RosaMag
Toxic Positivity
Bezeichnet den ausschließlichen Fokus auf ein imaginäres „Gutes“, mit dem Ziel, einen dauerhaft glücklichen, optimistischen Zustand zu erhalten. Begleiterscheinungen sind das Leugnen oder Kleinreden von negativen Gefühlen oder Erfahrungen anderer. Toxic positivity existiert sowohl auf individueller, als auch struktureller Ebene, d.h. entweder werden eigene negativ interpretierte Gefühle unterdrückt oder man gesteht anderen diese nicht zu. Stattdessen wird Liebe und Einheit gefordert. Allerdings bringt es nichts die offensichtlichen Unterschiede wegzulächeln und zu behaupten, alles würde sich von selbst zum Guten wenden. Denn „positiver“ gesellschaftlicher Fortschritt zu mehr Gleichheit wurde in der Vergangenheit nicht selten durch „negative“ Emotionen wie Wut erreicht.
Vetternwirtschaft/ Nepotismus
Vorteilsbeschaffung durch/für Familien- angehörige, andere Verwandte, Freunde, z.B. beruflicher Einstieg/Aufstieg durch Beziehungen, nicht die Leistungen. Leider finden entsprechende Strukturen – wie überall in der Wirtschaft – auch bei Medienhäusern und Fashion-Redaktionen statt. Die Eintrittskarte zu Jobs läuft häufig über Kontakte, Freunde oder Geld. Wenn eine weiße homogene Führungsebene ihren weißen Freunden den Vorrang gibt, bleibt nicht nur Vitamin B-losen Menschen, sondern insbesondere auch BIPoC die Tür zu Führungspositionen meistens verschlossen.
„Lediglich das gute Vitamin B ist die Eintrittskarte in diese verborgene Sphäre. Das Resultat ist, dass sich die Gemeinschaft nicht evolutioniert. Anstelle dessen reproduzieren sie Rassismen mit einem leichten kolonialistischen Touch…“ Fashion Changers
Virtue Signalling
Dieser Begriff ist artverwandt mit „performativem Aktionismus“ oder dem sogenannten „woke-washing“. Er bezeichnet eine „offene, lautstarke Äußerung moralischer Werte, die nicht im Einklang mit den Handlungen der Person stehen, weil sie nicht dazu beitragen, das adressierte Problem aktiv anzugehen“ – Fashion Changers
White Fragility
Der Begriff wurde 2011 von der amerikanischen Soziologin Robin DiAngelo geprägt und beschreibt ablehnende Reaktionen vieler weißer Menschen, wenn sie auf internalisierten Rassismus angesprochen werden. Häufig fällt es schwer, das eigene Verhalten kritisch zu reflektieren. Stattdessen sind soziale Handlungsmuster wie Ablehnung, Zweifel, Wut, Wegreden-Wollen, Verteidigung zu beobachten. So wird z.B. diskutiert, ob unter dem Hashtag #MeTwo geteilte Erfahrungen überhaupt als Rassismus zu bewerten sind. Dadurch werden die Stimmen von BIPoC kleingeredet und der rassistische Status quo erhalten.
„Es ist ein Begriff, den ich entwickelt habe, um einzufangen, wie schwer es ist, mit Weißen über Rassismus zu sprechen. Der Fragility-Aspekt fängt ein, wie schnell wir ablehnend darauf reagieren.“ Robin DiAngelo
White Supremacy
Bezeichnung für rassistische Ideologien/Systeme (z.B. Nationalsozialismus, Apartheid-Regime, etc.), die annehmen, dass die „weiße Rasse“ privilegiert, dominant und überlegen ist; „Weiß sein“ als menschliche Norm/ Ideal.
„And I’m sorry to say, if you’re white, no matter how nice you are, unless you’re doing serious and sustained personal anti-racism work, you are a part of the machine.“ Holiday Phillips
White Washing
Nach Drehbuchvorlage ursprünglich schwarze oder asiatische Charaktere werden mit weißen Schauspieler:innen besetzt (z.B. in Filmen, im Theater, usw.); Aufhellen der Haut von Schwarzen auf Fotos (Gegenteil: Black Washing)
woke-washing
Strategie von (Mode-)Konzernen, welche sich aktuell gezielt als verantwortungsvoll und „wach“ darstellen. Dies geschieht u.a. durch diversere Kampagnen und antirassistische Tweets in den sozialen Medien, obwohl die Unternehmenspolitik ansonsten dem Gegenteil von bewusst entspricht. Der aktuell wieder ins Zentrum gerückte Kampf Schwarzer Menschen wird sogar, ganz unserem kapitalistischen System entsprechend, ausgenutzt, „weil sich gerade damit viel Geld verdienen lässt“ – abscheulich und grausam.
„The work of anti-racism requires a level of self reflection that I don’t feel is coming from all the people or organisations that now say Black Lives Matter.”Reni Eddo-Lodge
Wir hoffen, Euch mit diesen Vokabeln einen guten Überblick verschafft zu haben. Falls Eurer Meinung nach etwas fehl oder falsch dargestellt ist, schreibt uns gern, damit wir das Lexikon aktualisieren oder erweitern können. Denn wie die kluge Jenni vom Blog Mehralsgrünzeug, deren Artikel uns als Hauptquelle für diesen Beitrag diente, so schön schreibt, werden wir hinter das Thema Rassismus nie einen TO-DO-LISTEN-HAKEN setzen können.
written by: Zoe Kabasser