B&T WE DESIGN SOCIETY l Mode ist politisch. Sie ist Ausdruck unserer Individualität, unserer Handlungen und Entscheidungen. Sie ist Identität und kulturelle Ausdrucksform. Sie ist aber auch eine der weltweit größten Industrien und oft Motor für die wirtschaftliche Entwicklung eines ganzen Landes.

Die Schattenseiten kennen wir alle: Menschrechtsverletzungen und Umweltzerstörungen entlang der gesamten Lieferkette. Was ebenfalls oft aus dem Blickfeld gerät, sind die Materialien und ihre Beschaffung. Jetzt können wir weitermachen wie bisher und uns mit billiger Wegwerfmode einkleiden. Die Modeindustrie kann weitermachen wie bisher, ohne die verschwenderische Produktion von Wegwerfmode zu hinterfragen. Oder wir stellen uns neuen Strategien und Herausforderungen: weg von der Idee des ewigen Konsums, bei dem Materialien kaum einen Stellenwert haben, hin zu einer materiellen Gesellschaft im eigentlichen Sinne, in der Materialien – und die Welt, von der sie abhängen – wertgeschätzt werden. Wenn wir uns mit sustainable sourcing beschäftigen, beinhaltet dies also vor allem die Frage nach der Wertschätzung des ’Materials’.

Das war unser Thema von Cut Up#9 am 15.2.2018. Unseren vielen Fragen Rede und Antwort standen Kristin Heckmann, Leiterin Corporate Responsibility hessnatur, Benjamin Itter, einer von 3 Geschäftsführern von Lebenskleidung, sowie Jan Thelen, einer von 2 Geschäftsführern von recolution. Und die Erkenntnisse waren, was sollen wir sagen, toll!

Was bedeutet „nachhaltige Materialbeschaffung“?

Am Sourcing, so wurde deutlich, sind oftmals eine Vielzahl an Personen oder Abteilungen eines Unternehmens beteiligt. Dabei gibt es durchaus unterschiedliche Ansprüche an das Material, den Preis etc., beispielsweise wenn der Vertrieb oder das Design mitreden. Einig waren sich alle 3 Podiumsgäste darin, dass nachhaltige Materialien definitiv teurer sind als konventionelle, das läge in der Natur der Sache und würde sich letztlich auch im Produktpreis widerspiegeln. Während hessnatur vorwiegend auf Naturmaterial (Baumwolle, Wolle, Seide etc.) setzt, steht recolution für vegane Stoffe. Das Label verwendet hauptsächlich Bio-Baumwolle, hinzu kommt Tencel (jedoch aufgrund der hohen Kosten nicht in der Masse), auch Experimente mit recycelten Polyesterfasern gab es schon, jedoch sei auch dies ebenfalls sehr teuer. Zudem berge Polyester das Problem von Mikroplastik – jene kleinen Partikel, die bei jedem Waschgang eines Polyester Stoffes ins Abwasser gelangen und bereits jetzt große Umweltprobleme verursachen.

 Sourcing und Lieferanten

Die eingeladenen Unternehmen beziehen ihre Materialien aus verschiedenen Ländern. Hessnatur setzt auf die Kombination aus Beschaffung und direkter Produktion vor Ort, und zwar jeweils für ihre verschiedenen Rohstoffe: Alpakawolle in Peru, Leinen und Hanf in Deutschland, Biobaumwolle in der Türkei, Seide in China. Recolution bezieht seine Biobaumwolle vorwiegend aus der Türkei. Für Unternehmen, die nur geringe Mengen benötigen oder keine eigenen Standards für die Beschaffung definieren möchten, könnten zertifizierte Materialien eine gute Alternative sein, sagte Jan Thelen. Der Global Organic Textile Standard (GOTS) etwa gibt bestimmte ökologische und soziale Anforderungen an die Verarbeitung von Textilien aus biologisch erzeugten Naturfasern vor. Etwaige Schwachpunkte von Standards zum Beispiel bei der Formulierung der Sozialkriterien sollten dann aber durch andere Maßnahmen ausgeglichen werden, so Kristin Heckmann. Dabei seien langfristige, partnerschaftliche Beziehungen zu Lieferanten und Produzenten eine wichtige Komponente. Von „Schlitzohren“ wussten alle zu berichten, daher seien verlässliche Lieferantenbeziehungen umso wichtiger.

Auch Materialnetzwerken kommt eine spannende Rolle zu. Insbesondere Lebenskleidung berichtete, dass sie durchaus versuchen, Einkäufe zu bündeln, wenn es sich um denselben Stoff handelt, um bessere Einkaufskonditionen zu erzielen. Die Design-Ergebnisse seien trotzdem immer unterschiedlich. Da Lebenskleidung als Stofflieferant mittlerweile die Hälfte seiner Materialien ins Ausland verkauft, gäbe es für ein und dasselbe Material den Berlin-Look, den Wien-Look, den Barcelona-Look und viele mehr. Während LebenskleidungEinkaufsgemeinschaften durchaus positiv bewertete, verwies recolution auf die Abgrenzung im Markt etwa durch ein uniques Material.

Nische oder wachsender Markt

Bleibt nachhaltige Beschaffung damit eine Nische oder ist es realistisch, dass wir in ein paar Jahren z.B. 100% Biobaumwolle auf dem Markt sehen? Es bleibt eine Nische, da waren sich alle einig, aber eine, die sich stetig fortentwickle und die es weiter auszubauen gelte. Lebenskleidung berichtete von ihrer letzten Sourcing-Reise nach Uganda, wo 70.000 (!) Farmer Bio-Baumwolle anbauen, die sie – entgegen aller Kritik, dass ja auch Bio-Baumwolle sehr wasserintensiv sei – lediglich mit Regenwasser bewässern. Hier gelte es, im Sinne einer nachhaltigen Materialbeschaffung v.a. traditionsreiche Anbauländer zu stärken, die kaum zusätzliche Wassergabe benötigen. Ob so die steigende Nachfrage insbesondere nach Biobaumwolle bedient werden kann, gilt zwar als fraglich. Dennoch warb auch Kristin Heckmann dafür, Rohstoffe aus traditionellen Anbauregionen zu verwenden und nachfolgende Verarbeitungsschritte ebenfalls vor Ort zu platzieren. So ließen sich die Transportwege verkürzen und die Verarbeitungskompetenzen der lokalen Produktionsstätten nutzen. Gleichzeitig bleibt der Anbau von Bio-Baumwolle aber marginal gegenüber den Mengen, die konventionell angebaut werden.

Politische Rahmenbedingungen oder Selbstverpflichtung?

Die Frage, ob es politische Rahmenbedingungen brauche, um Beschaffung und Produktion nachhaltig, aber auch wettbewerbsfähig gestalten zu können, beantwortete Ben von Lebenskleidung mit einer Wortsalve, bei der er sehr deutlich die Pflicht der Politik einforderte, entsprechende Gesetze, Zölle etc. einzuführen. Wäre es nicht eine tolle Vorstellung, wenn es für den Endverbraucher günstiger wäre, faire Mode zu shoppen als konventionelle? Spätestens dann würde sich definitiv im Markt etwas tun – und viele umweltschädliche und menschenrechtsverletzende Begleiterscheinungen angefasst. Da so wenige große Player den Fashion Markt dominieren würden, wäre es doch ein Einfaches, ihre Marktmacht auch dahingehend zu nutzen, dass sie bestimmte – von der Politik geforderte – nachhaltige Kriterien umsetzen. Entsprechend seien auch vermeintliche nachhaltige Ansätze von konventionellen Unternehmen wie H&M oder Zalando als Farce zu werten. Wer so viel Marktmacht habe, dürfe sich nicht mit Feigenblättern begnügen. Zitat „Es gibt kein richtiges Zalando im falschen!“ Kristin von hessnatur betonte demgegenüber, dass auch kleine Schritte legitim seien. Wichtig sei, dass ein Umdenken beginne. Sie sprach sich hingegen für eine freiwillige Selbstverpflichtung von Unternehmen aus. Das im Jahr 2014 auf Initiative der Bundesregierung gegründete Textilbündnis sei eine relevante und notwendige Entwicklung innerhalb der Branche und könne helfen, ökologische und soziale Verbesserungen entlang der textilen Wertschöpfungskette anzustoßen.

Die nächste Cut Up Veranstaltung findet im April 2018 zum Thema Cradte to Cradle statt. Alle Infos gibt es hier.