New Work – new me? Unser Leben und Arbeiten nach Corona

B&T  WORKING LAB l Mein Vater hat mir zu Weihnachten eine neue Kaffeemaschine geschenkt. Hatte ich nicht bestellt. Weil: brauchte ich nicht. Dachte ich. Eigentlich verbringe ich nämlich, wie vielleicht die meisten von euch auch, einen Großteil meines wachen Tages in und auf meiner Arbeit. Da gibt es Kaffee. Danach hetze ich mit meinen Kindern durch die Gegend und da gibt’s höchstens mal einen Kaffee auf die Hand. Corona habe ich zu verdanken, dass ich nun hier zuhause mit einem herrlichen Kaffee aus meiner Kaffeemaschine sitze, die jetzt im Dauermodus läuft und mich und meinen Mann in unserem Homeoffice mit köstlichem Lebenselixier versorgt. Und ich weiß, einige Kilometer entfernt sitzt Conny einträchtig neben ihrer Kaffeemaschine.

Corona – das größte Organisationsexperiment aller Zeiten

Die Corona-Pandemie hat bei Bridge&Tunnel das größte Organisationsexperiment aller Zeiten ausgelöst und damit alles einmal durchgerüttelt und neu zusammengesetzt, auch unseren Arbeitsalltag. Fast über Nacht mussten wir unser gesamtes traditionelles Arbeitskonzept umstrukturieren. Hatten wir vorher eine gemeinsame Werkstattpräsenzzeit aller Mitarbeiter:innen inklusive Conny und mir, mussten nun spontan Möglichkeiten gefunden werden, sich räumlich nicht zu nahe zu kommen und dazu noch die Betreuung und Bildung der Schul- und Kindergartenkinder zu organisieren. Home Office ist für Connys und meine Aufgaben nicht so problematisch. Aber wie richtet man Home-Nähmaschinenplätze ein?

Dafür brauchte es nicht nur tatkräftige Transporthelfer für die Nähmaschinen, sondern auch jede Menge Koordinationstalent und Vertrauen in die Mitarbeiter. Denn ob jemand nun zuhause an der Nähmaschine sitzt oder vor dem Fernseher kann aus der Ferne nicht kontrolliert werden. Muss es ja auch gar nicht. Hauptsache, das vereinbarte Ergebnis stimmt, Parole: „Vertrauen statt Kontrolle“. Damit haben wir unseren Mitarbeiter:innen mehr Verantwortung übertragen. Organisationsverantwortung bis zum völligen Selbstmanagement, aber auch die Beteiligung an Entscheidungs- und Innovationsprozessen. Und die eine oder andere ist dabei über sich hinausgewachsen.

Den Entscheidungs- und Gestaltungsspielraum von Beschäftigen zu erweitern, und damit mehr Autonomie zuzugestehen, fördert nachweislich die Arbeitszufriedenheit. Und das gilt auch für meine und Connys Arbeit und führt zu einem ganz neuen Wir- und Lebensgefühl.

Denn: im Umkehrschluss bedeutet eine größere Verfügungshoheit über meine persönliche Arbeits- und Lebenszeit viel mehr Innovationskraft. Im Homeoffice habe ich nicht nach Stundenplan gearbeitet und pünktlich den Stift fallen lassen, sondern meine Aufgaben viel verzahnter in meinen Tag integriert und dann gearbeitet, wenn es mir zeitlich und inspirationell am besten gepasst hat. Selbstorganisation ist mein neues Leitwort. Eine große Verantwortung, aber auch eine große Freiheit.

Im Rückblick wirkt die alte Präsenzkultur nun einfach zu langsam, zu unflexibel, zu wenig innovativ. Denn eigentlich ist es ganz einfach: was uns glücklich macht, macht uns erfolgreich.

Die turbulente Corona-Zeit hat uns die Möglichkeit gegeben, völlig Neues auszuprobieren und uns gezwungen, uns etwas zu trauen. Einige Dinge haben uns gefehlt. Aber einige Innovationen werden wir unbedingt weiterführen. Hier sind meine Corona-Souvenirs für eine vorläufige Ewigkeit:

Wie wir durch Corona anders arbeiten und führen

Homeoffice bzw. Remote

Körperliche Anwesenheitspflicht? Nein Danke! Ich arbeite sehr gut auch von woanders. Erreichbar bin ich Dank moderner Technik, kann inzwischen gut mit unterschiedlichsten digitalen Kommunikationsformaten umgehen und habe gelernt, Arbeitshirn- und handy rechtzeitig auszuschalten. Nervige Wege durch die ganze Stadt, auf denen ich meine produktive Arbeitszeit verplempere, spare ich mir so auch noch.

Remote Management

Führen auf Distanz muss man üben: Vertrauen, Ergebnisorientierung, Toleranz sind die Voraussetzungen, auch mal loszulassen und nicht jeden Arbeitsschritt nachzukontrollieren. Macht uns aber auch lockerer, ganz im Sinne von „Let it go“. Die Bedürfnisse der Mitarbeiter:innen auch aus der Ferne im Blick zu behalten erfordert Einfühlungsvermögen und Kümmermentalitäten, die jede Führungskraft stärker in sich wecken sollte. Denn nur mit unseren tüchtigen und tapferen Mitarbeiter:innen konnte die Produktion so gut durch alle Widrigkeiten weiterlaufen. Da darf Chef:in auch mal dankbar sein.

Vereinbarkeit und Geschlechtergerechtigkeit

Die Verantwortung für die Kindererziehung und -betreuung liegt bei uns seit Homeoffice nicht mehr bei der Person, die berufsbedingt das Haus kürzer für die Arbeit verlässt (leider nämlich ich). Das hatte sich bei uns vorher so eingespielt. Mein Mann und ich sind jetzt beide häufig tagsüber zuhause. Und so sind wir mit einem Mal beide körperlich anwesend, wenn Kinder nach Mittagessen verlangen, der Hund raus will oder der Heizungsableser sich ankündigt. Selbstverständliche Aufgabenverteilungen und Ungerechtigkeiten werden so endlich augenfällig und erlebbar und müssen neu verhandelt werden. Und diese Tätigkeiten können wir durch höhere Flexibilität auch in einen Arbeitstag einbauen und müssen nichts auf den Abend, das Wochenende oder den freien Tag verschieben. So fühle ich mich als Gestalterin meiner eigenen Lebenszeit und nicht als Familien- und Arbeitsmaschine.

Digitale Transformation

Mein Lieblingsthema. Digitalisierung hat für mich sehr viel mit Menschsein zu tun. Viele Aufgaben kann eine Maschine oder ein Computer einfach besser und schneller oder geduldiger als ich. Dann soll das doch die Maschine machen! Und das wirft ein ganz neues Licht auf den Sinn von Arbeit. Nun ist nicht mehr Maloche angesagt, sondern das Zeitalter der Kreativökonomie ist angebrochen. Die rationale Leistungsgesellschaft ist passé. In Zukunft arbeite ich nicht mehr, um zu leben, und lebe nicht mehr, um zu arbeiten, sondern strebe eine gelungene Symbiose von Leben und Arbeiten mit der Entfaltung meiner Potentiale an. Klingt verrückt? Nee. Lasst uns doch alle produktiv statt busy sein und das tun, was wir wirklich gut können. Der Computer soll uns ruhig die mühsamen Aufgaben abnehmen.

Kreativökonomie statt Hamsterrad

Muss Arbeit immer weh tun, um echte Arbeit zu sein? Oder kann ich auch entspannt und trotzdem konstruktiv und effizient arbeiten? Das Konzept Kreativökonomie (im Sinne von flexiblen, lösungsorientierten agilen Unternehmen) stellt die Potentialentfaltung von Mitarbeiter:innen in den Mittelpunkt: Anstatt die Arbeit als einen Wert an sich und Selbstzweck zu sehen, steht der Mensch als Individuum mitsamt seinen Bedürfnissen im Fokus. Dazu gehört sinnhafte Arbeit, die unseren Talenten und Potentialen entspricht und im Einklang mit unseren Lebensentwürfen steht. Denn Arbeit an sich nervt selten. Es sind eher die Umstände.

Durchatmen

Auf einmal stand die Welt still und wir haben seit Langem mal wieder total im Moment leben müssen. Termine und Veranstaltungen wurden abgesagt. Bei vielen wirklich schade. Manche vermisse ich aber nicht und werde jetzt viel häufiger überlegen, ob jeder Termin und jedes Meeting wirklich in persona sein muss oder es nicht auch eine Mail oder ein Anruf tun.

Großzügigkeit

Durch Corona wurden plötzlich Wege für eine fortschreitende Flexibilisierung aufgemacht. Wir haben in einer Krisensituation alle unser bestes gegeben und uns auf Neues eingelassen. Das Work-Life-Blending-Modell hat mir via Videocall Einblicke in die Wohnungen und Menschlichkeit anderer Leute gegeben und ich habe deren Blicke ebenfalls zugelassen. Denn: es war alles so herrlich unperfekt und mindestens so chaotisch wie bei mir. Gemeinsam haben wir aber auch den größten Homeschooling-Wirrwarr und die heftigsten Kinder-Ausraster in wichtigen Meetings durchgestanden und das hat uns als Menschen einander näher gebracht. Denn das sind wir: fehlbare unberechenbare Wesen, mit denen man großzügig umgehen muss, wenn mal etwas weniger als perfekt läuft. Jetzt ist die Zeit für Pragmatismus, nicht für Perfektionismus.

Bei uns hat Corona nach einem anfänglichen geordneten Chaos zu einer Sturzgeburt neuer Arbeitsmethoden geführt. Dieses ungeplante Baby werden wir jetzt pflegen und hoffentlich gesund aufwachsen sehen. Vielleicht wird dieses Baby in der Pubertät noch mal für Trubel sorgen. Aber ein Leben ohne wollen wir nicht zurück.

Und? Wie ist es bei euch?