T-Shirts aus saurer Milch oder Kaffee; Hosen aus Brennnesseln oder Lotusfasern, Lederjacken aus Lachshaut, Ananas, Pilzen oder Äpfeln, Kleider aus Braunalgen oder Kork – immer mehr Hersteller*innen experimentieren mit neuen, alternativen Fasern. Textilunternehmen und Modelabels suchen nach Alternativen. An den Designhochschulen wird intensiv nach Ersatz zu Polyester- und Baumwollfasern geforscht. Doch wir leben in einem Paradoxon. Weder Baumwolle noch Polyester oder Nylon können die Fasern der Zukunft sein. Denn Wasser und Erdöl sind Rohstoffe, die zur Neige gehen und in nächster Zukunft schwer umkämpft sein werden. Und mit dem Anwachsen der Weltbevölkerung wächst die Nachfrage nach Bekleidung immer mehr. Zusätzlich wird sie mit immer kürzer werdenden Modezyklen künstlich befeuert.
Benötigen wir für die ‚neuen‘ Textilien also keine Baumwolle, Seidenraupen oder Tierhäute mehr? Sojaseide kann z.B. aus Tofu-Abfällen, Milchseide aus Proteinpulver gewonnen werden. Biopolyester wird aus Maisabfällen hergestellt. Es wird mit Bananenfasern, Maisstärke oder Garnen aus Krabbenschalen experimentiert. Algen werden in biofaser- und umweltfreundlichen Farbstoff umgewandelt. Und viele Brands gehen mit dem Trend, Bekleidung und Schuhe aus Plastikmüll zu ordern und zu vermarkten. Nur ein Marketinggag oder ein ernsthaftes Bestreben, die Textilproduktion radikal neu zu denken?
Bei unserer Talkrunde Cut Up #13 ließen wir die Experten sprechen: Prof. Dr. Ellen Bendt lehrt und forscht an der Hochschule Niederrein zu innovativen Textilien. Sebastian Thies von nat-2 designt in der 6.Generation Schuhe aus Pilz, Kaffeesatz, Kork, Milchfasern und mehr. Unsere Gastgeberin Wiebke Clef, Inhaberin der beiden Fair Fashion Stores glore in Hamburg, feiern mit einem ihrer beiden Stores in diesem Jahr bereits das 10. Firmenjubiläum. Die Journalistin Anna Schunck vom Viertel \ Vor Mag moderierte den Abend.
Verbesserungsbedarf bei der Aufklärung
Auf die Frage, welche innovativen, zukunftsfähigen Textilien wir als Verbraucher*innen kennen sollten, antwortete Sebastian Thies, er fände es “erschreckend, wie wenig sich die Leute informieren, obwohl die Informationen frei zugänglich sind.” Wiebke Clef, die als Inhaberin von zwei Fair Fashion Stores bereits täglich mit überdurchschnittlich informierten und bewussten Kund*innen in Kontakt ist, stimmte dem zu. Sie gab allerdings zu bedenken, dass selbst die Verkäufer*innen in fairen Concept-Stores sich nicht selten ausreichend über neue Materialien informiert fühlten. Selbst wenn die Informationen zu Herstellungsprozessen zugänglich seien, als Otto-Normalverbraucher*in und Nicht-Textiltechniker*in sei es sehr aufwändig, die Vor- und Nachteile von innovativen Materialien oder etwa verschiedenen Recyclingprozessen zu erkennen und zu erklären. Um Kund*innen den Mehrwert und damit oftmals auch die Mehrkosten von Recycling-Materialien zu vermitteln, seien die Hersteller*innen gefragt, gut aufbereitete Informationen für Kund*innen und auch Händler*innen zur Verfügung zu stellen.
Close the Loop – was sind die Baustellen?
Für Ellen Bendt besteht die Herausforderung einer zukunftsfähigen Textilproduktion darin, Kreislaufkonzepte zu entwickeln, die über das Recyceln von Virgin-Materialen hinausgehen. Denn auch Recycling berge einige Einfallstore: Kaufen wir zum Beispiel ein Produkt aus 100% recyceltem Polyester, sei unsere Wunschvorstellung, dass aus einem alten Polyestershirt ein neues wurde. Das sei technisch allerdings kaum möglich: Denn der Großteil unserer Kleidungsstücke bestehe aus Mischfasern. Um Textilien vollständig recyceln zu können, sind dagegen Monofasern nötig. Selbst Details, die uns als Verbraucher*in vielleicht unwichtig erscheinen, wie zum Beispiel die fehlenden Etiketten von Altkleidern können es erschweren, Textilien zu recyclen. Denn mit dem Heraustrennen des Schildes geht die für die Weiterverwerter wichtige Information verloren, welche Fasern sich in dem jeweiligen Fashionteil befinden. Die Nachfrage von Polyester aus Plastikflaschen sei dabei so groß, dass in China und anderen Produktionsländern – so wusste es Ellen Bendt aus verlässlichen Quellen zu berichten – schon Plastikflaschen produziert werden, die umgehend wieder geschreddert und als Recyclingprodukte zur Faserherstellung vermarktet werden. Solche Entwicklungen zeigen, wie umkämpft der Beschaffungsmarkt ist. Wichtig ist es, sich zukünftig nicht nur auf eine Lösung, nämlich das Down-cycling von Plastikflaschen zu konzentrieren. Die Entwicklung von recycle-fähigen Produkten aus Monomaterialien und das Vorantreiben der chemischen Recycling-Prozesse von Textilien selbst, sollten dabei oberste Priorität haben.
Es gibt keinen Abfall, nur Wertstoffe.
Auch wenn Recycling also dazu beiträgt, vorhandene Ressourcen weiter zu nutzen, dürfen wir dennoch nicht blauäugig damit umgehen. Denn letztlich ändern wir wenig am Fast Fashion Kosmos mit seinen negativen Auswirkungen für Mensch und Natur, wenn wir nichts an unserem schnelllebigen und auf Quantität ausgerichteten Kaufverhalten ändern. Ein erster Beitrag für eine kreislauffähige Wirtschaft sei dabei, nicht mehr in Abfällen, sondern so Ellen bendt, in Wertstoffen zu denken.
Sebastian Thies betonte die Notwendigkeit, bei der Entwicklung von ressourcenschonenden Materialien für die Textilbranche darauf zu achten, was für den aktuellen Zeitpunkt die sinnvollste Lösung ist. Zum Beispiel sei es nicht sonderlich nachhaltig, solange Menschen Fleisch essen, auf rein vegane Produkte zu setzen. Solange beispielsweise Leder als Abfallprodukt vorhanden ist, sei es die reinste Verschwendung, dieses nicht zu nutzen. Denn auch dieses Naturprodukt müsste entsorgt werden, was nicht nur sehr teuer sei, sondern auch sehr viel CO2 freisetze. Textiltechniker sollten, so Thies, daher immer bedenken, wo in der jetzigen Marktwirtschaft Abfälle entstehen und wie sie diese als Wertstoffe für sich nutzen könnten. Deshalb arbeitet der Schuhdesigner auch ganz bewusst mit polarisierenden Rohstoffen wie etwa Blut und Hanf, um zu zeigen, was alles möglich ist. Heutzutage seien wir, so Thies, technisch so weit, dass wir aus diversen Abfallprodukten der Landwirtschaft oder Viehwirtschaft ökologische, aber auch belastbare Materialien herstellen können. Manches wäre selbst noch vor 2 Jahren nicht denkbar gewesen.
Schwarz-Weiß-Denken ist keine Lösung
Wie so oft, gibt es in der Frage nach innovativen Textilien nicht nur richtig und falsch. Wir können die Textilindustrie nicht von jetzt auf gleich komplett ändern. Oft ist es sinnvoll, wie das Beispiel von Sebastian Thies zeigt, mit dem zu arbeiten, was vorhanden ist, anstatt auf das perfekte, innovative und nachhaltige Material, das bald entwickelt wird, zu warten. “Wir haben einen hohen Anspruch an Textilien, sie sollen ewig haltbar sein und wenn wir sie nicht mehr brauchen, sollen sie vor unseren Augen zerfallen”, fasst Ellen Bendt diese Vorstellung zusammen.
Die wachsende Weltbevölkerung in Kombination mit den immer knapper werdenden Rohstoffen zeigt die Dringlichkeit von Kreislaufkonzepten, für die noch viel Raum für Entwicklung ist. Um diese vorantreiben zu können, braucht es laut Ellen Bendt nicht nur aufgeklärte Konsument*innen und Zertifikate, sondern vor allem strengere Gesetze. Denn: “Nur was wehtut, funktioniert. Der Gesetzgeber ist gefragt, wenn man muss, geht komischerweise alles.” Und bis dahin können wir als Konsument*nnen auf echte Lieblingsteile sparen, auf gute Qualität und Monofasern achten, unsere Kleidungsstücke lieber mal beim Schneider reparieren lassen, und für die nächste Party einfach Kleid von der Freundin ausleihen anstelle ein neues zu kaufen.
Den Film zum Abend gibt es hier.