B&T STATEMENT PIECE l 11 Monate Pandemie haben an unseren Nerven gezerrt. Und wir sind uns sicher, vielen von euch geht es genauso. Der Ausnahmezustand, der auf unbestimmte Zeit unser Alltag ist und vermutlich noch sein wird, ist nicht nur eine große gesundheitspolitische Krise. Er schürt auch wirtschaftlich viele ernstzunehmende Ängste. Insbesondere klein- und mittelständische Unternehmen, aber auch Kunst- und Kulturschaffende, Gastronom:innen, Barbesitzer:innen und viele mehr plagt neben der Sorge um das Kollektivwohl unserer Gesellschaft zusätzlich die Angst vor dem finanziellen Bankrott.
Während wir diese Zeilen schreiben, stellen wir ungläubig fest, dass wir trotz aller Coronabelastungen erstaunlich ok durch 2020 gekommen sind. Das hat zum einen mit unseren treuen Supporter:innen zu tun. Zum anderen mit einer wahnsinnigen Solidaritätswelle, die direkt in der ersten Coronawelle zu spüren war und die viele dazu genutzt haben, gerade die kleinen Player und Akteur:innen zu unterstützen, die unser Land vielfältig und lebendig machen. Wir waren dieses Jahr aber auch dadurch geschützt, weil wir unsere Upcycling Aktivitäten in den B2B Bereich ausdehnen konnten. Denn auf zwei Beinen steht es sich bekanntlich ja besser als auf einem.
Corona: Teamsplit, Masken und politischer Einsatz
2020 war definitiv schwierig, aber es gab auch Momente des Durchatmens. Noch im März hatten wir unser Produktionsteam geteilt, um die Infektionsketten möglichst gering zu halten. Die eine Teamhälfte arbeitete weiter in der Werkstatt, die andere Teamhälfte zuhause. Im Fall unserer Mitarbeiter:innen bedeutete das aber nicht, dass sie sich einfach am Küchentisch ausbreiten und ihren Laptop ausklappen konnten. Wir hatten ihnen vielmehr Industrienähmaschinen nach Hause geschickt, die dann in den – oftmals engen – Räumlichkeiten im Wohnzimmer oder im Flur zum Einsatz kamen. Was als Versuch von unserer Seite gemeint war, unser Produktionsteam so sicher wie möglich aufzustellen, erwies sich als schwierige Kiste. Zwar klappte die Zuarbeit aus der Heimwerkstatt problemlos und die Kommunikation der 2 Teams lief zu digitalen Höchstformen auf, jedoch fehlte der direkte Kontakt, der persönliche Austausch und das Miteinander, das Bridge&Tunnel ausmacht, sehr.
Nach einigem Abwägen hatten wir uns entschieden, ab Mitte April in die Fertigung von fairen und nachhaltigen Alltagsmasken einzusteigen. Das Problem an der Sache: Gummiband war weltweit ausverkauft. WELTWEIT! Wenn das kein Zeichen für die globalen Verflechtungen der Textilindustrie ist, was dann? Aber zum Glück war unser Team erfinderisch. Und konzipierte kurzerhand eine Maske mit Textilbändern. Alle Masken hatten wir, wie immer, aus Reststoffen gefertigt, die uns kurzerhand von tollen Menschen gespendet wurden. Auch Bettwäsche von Tchibo war dabei. Noch wichtiger aber: Wir hatten uns von Beginn an dafür entschieden, auch eine Spendenmaske anzubieten. Um die Menschen zu unterstützen, die sich keine Alltagsmaske leisten können, sie aber genauso dringend wie wir alle benötigen. Mithilfe der Unterstützung von EUCH ALLEN konnten wir im Mai dann jede Menge Spendenmasken verteilen. U.a. an unsere Freunde von Hanseatic Help, die seit 2015 Geflüchtete, Obdachlose und andere Mitmenschen kostenlos mit Kleidung und anderen Artikeln des täglichen Bedarfs unterstützen.
Auch als Gründerinnen hatten wir uns aufgeteilt und immer abwechselnd aus dem Home Office gearbeitet und unser Team vor Ort betreut. Das klappte ok, auch wenn die Verrücktheiten in der ersten Welle mit Home Schooling und gleichzeitigem Arbeiten daheim alles andere als leichtfüßig waren. Dass diese Zeit nicht nur crazy war, sondern auch ein paar Aha-Effekte mit sich gebracht hat, hat Co-Founderin Lotte in diesem Blogbeitrag für euch aufgeschrieben.
Neben allen Improvisations-Hacks schwebte eine Sache jedoch wie ein Damoklesschwert über allem. Die Mode- und Textilbetriebe, die nicht wie wir lokal organisiert sind, erlitten weltweit Schiffbruch. Allen voran die Produktionsstätten im globalen Süden waren in der 1.Coronawelle stark in Mitleidenschaft gezogen und von ihren Auftraggeber:innen im globalen Norden, die sonst stets von der günstigen Arbeitskraft profitieren, schmählich im Stich gelassen worden. Millionen von Arbeiter:innen in der globalen Bekleidungsindustrie hatten während der COVID-19-Pandemie nicht ihren vollen Lohn erhalten oder gar ihren Arbeitsplatz ohne angemessene finanzielle Entschädigung verloren. Die Menschen, die unsere Kleidung herstellen, verdienen seit Jahrzehnten Armutslöhne, die ihnen keine Ersparnisse gelassen haben, mit denen sie eine Krise überleben könnten. Die Textilarbeiter:innen und ihre Familien können ihre Lebensunterhaltungskosten nicht mehr zahlen und müssen hungern, ohne Hoffnung für ihre Zukunft. Unter dem Hashtag #payup hatten sich dieses Jahr zahlreiche Aktionsbündnisse, Initiativen und Einzelpersonen für eine angemessene Zahlung der Textilarbeiter:innen stark gemacht. Teilweise mit mehr, teilweise mit weniger Erfolg.
Das Thema Verantwortung und Solidarität innerhalb der Textilbranche macht uns rasend. Denn es ist eines, das für uns so selbstverständlich ist wie das Wort Moin in Hamburg. Wir fühlten uns deshalb sehr geehrt und gehört, als wir unsere politischen Gedanken beim Podcast „Der 8.Tag“ von Gabor Steingart kundtun und damit auf die Missstände aufmerksam machen durften. Wie lebensbedrohend sich Covid-19 auf Textilarbeiter:innen in Bangladesch, die für internationale Marken produzieren, auswirkt, hat die BBC eindrucksvoll dokumentiert. Bitte schaut nicht weg, sondern schaut es euch hier an.
Upcycling – nicht nur aus Jeans
Schon seit einer Weile fertigen wir Upcycling Designs nicht nur für unser Label, sondern auch für Unternehmen, die ebenfalls textile Reste haben und ihnen einen längeren Lebenszyklus bescheren wollen. Das Thema ist also nicht neu für uns, war insofern in 2020 aber besonders, weil wir unser Upcyclingverfahren nicht nur auf andere Materialien als Jeans, sondern auch in ganz neue Größendimensionen tragen durften. Und damit unseren Ansatz, wie eine Variante für eine nachhaltigere Modeindustrie aussehen kann.
Das Hamburger Traditionsunternehmen Tchibo hat sich schon vor etlichen Jahren auf den Weg gemacht, ihr Unternehmen ganzheitlich nachhaltiger zu gestalten. Unseren Diskurs zum Umgang mit Restanten (nicht verkaufte Kleidung) führen wir mit Tchibo schon eine Weile und das auf Augenhöhe. Umso erfreuter waren wir, als wir nach vielen Gesprächen endlich ins Machen kommen konnten. Für zwei Themenwelten haben wir in 2020 aus Tchibo Restanten neue Designs gefertigt und sie somit in neuer Gestalt in den Unternehmenskreislauf zurückgegeben (mehr dazu hier und hier). Für unser Produktionsteam war die Größenordnung eine echte Herausforderung, die unsere Näher:innen aber wahnsinnig professionell – und das trotz Corona und Heimarbeit – gemeistert haben. Wir waren und sind so stolz.
Nach der Zusammenarbeit mit Tchibo folgten weitere Upcyclingkooperationen mit Levi’s, Viva von Agua und Sea Shepherd. Und wir sind immer noch geflasht davon, wieviel Freude es bereitet, aus unterschiedlichen Reststoffen anspruchsvolles Design zu gestalten. Denn wenn es eines auf diesem Planeten gibt, dann zu viel Textilien. Auch im kommenden Jahr stehen spannende Upcyclingkooperationen an und wir brennen schon darauf, euch davon zu erzählen.
Warum 2020 ein politisches Jahr war
Dass Mode politisch ist, ist für uns glasklar. Umso schöner war es zu sehen, dass es 2020 einige Momente gab, die auf unser politisiertes Verständnis von Mode eingezahlt haben. Da war zuerst das Erscheinen des großartigen Buchs der Fashion Changers „Wie wir mit fairer Mode die Welt verändern können.“ Rund um diese Fragen lässt das Buch inspirierende Modeaktivist:innen zu Wort kommen und stellt 20 Menschen und Labels vor, die sich für eine bessere Modeindustrie einsetzen. Und wir fühlen uns wahnsinnig geehrt, in dieser großartigen Riege an Macher:innen mit einem Portrait über Bridge&Tunnel dabei zu sein. Als wäre ein Auftritt in einem – gedruckten – Buch nicht schon genug, erhielten wir dieses Jahr eine Einladung des STERN zur Diskuthek. Das Diskursformat lädt zu unterschiedlichen Themen verschiedene Vordenker:innen ein, die sich mal mehr oder weniger gepflegt streiten sollen. Zum Thema „Geht günstige Mode ohne Ausbeutung“ diskutierte Co-Founderin Conny gemeinsam mit Viola Wohlgemuth von Greenpeace, Tarek Müller von About You und Henrik Heuermann von H&M. Das Spannende am Talk, den ihr hier sehen könnt, war wie sehr sich Conny und Viola mit den Vertretern der konventionellen Modeindustrie in vielen Punkten einig waren.
Ein weiteres Thema, das uns 2020 unter die Haut ging, waren die Anti-Rassimus Bewegungen, die im Frühjahr – ausgelöst durch den brutalen Tod von George Floyd – weltweit einsetzten. Nachdem in den sozialen Medien tagelang schwarze Kacheln gepostet worden waren, entschieden wir uns, nicht zurück zur Tagesordnung zu gehen, sondern Rassismus als ein Problem zu begreifen, dass alle von uns – auch wenn wir fest davon überzeugt sind, mit Rassismus nichts zu tun zu haben – aufrichtig reflektieren müssen. Denn Rassismus findet neben offensichtlichen strukturellen Einschreibung auf vielen subtilen Ebenen statt. Es ist ein Alltagsbegleiter, der sich seit vielen Jahrhunderten fest in unsere Handlungsmuster eingebrannt hat und den wir an der Wurzel packen müssen, um ihn loszuwerden. Obwohl wir seit Beginn unser Gründung Inklusion, Diversität und Gleichheit als feste Prinzipien leben, was sich auch in unserem Produktionsteam widerspiegelt, wollten wir uns noch tiefer mit dem Thema struktureller Rassismus auseinandersetzen. Denn dazu gehört es v.a., sich als weiße Menschen mit den eigenen Privilegien zu konfrontieren. Dazu haben unsere Gründerinnen Lotte & Conny an der Instagram Challenge #kritischeweiss_heiten von Josephine Apraku teilgenommen. Die Ergebnisse ihrer Selbstbefragung lest ihr auf unserem Blog.
Natürlich gab es dieses Jahr aber auch leichtere Kost: Wie unsere tolle Kooperation mit unseren Upcyclingfreunden von Bracenet, mit denen wir gemeinsam eine Bumbag entworfen haben. Unsere Special Edition Lindenstraße, bei der wir Jeans vom TV-Set zu neuen Accessoires verarbeitet haben. Und zuletzt einige neue Denim Produkte, die wir für Bridge&Tunnel entwickelt haben. Dazu gehören unser neuer Boho Shopper, Wekender und Shopper nordic sowie unsere Utensilos, die auch als Kosmetiktasche genutzt werden können. Neben aller Konsumabhängigkeit konnten wir es uns trotzdem nicht verkneifen, zu unserem 4jährigen Jubiläum im Juli ein Poster herauszubringen, das mit dem Slogan „Should we stop shopping“ einmal mehr daran erinnert, dass wir alle wirklich nur das kaufen sollten, was wir wirklich benötigen.
Und weil wir nicht müde werden, über die Wichtigkeit von Fair und Slow Fashion zu sprechen, haben wir uns dieses Jahr kurzerhand entschlossen, unsere Gedanken noch regelmäßiger und direkter mit euch zu teilen. Mit unserem eigenen Podcast TALK SLOW, der ab sofort einmal monatlich erscheint. So konnten wir dieses wahrlich politische Jahr für uns auf gute Weise auch politisch beenden.
Was uns 2021 antreibt
Ja dieses Jahr war politisch. Durch Corona wurden die Verflechtungen der globalen Modeindustrie wie unter einem Brennglas sichtbar. Und es geht darum, sie nicht länger als kleine Boxen isoliert voneinander zu betrachten, sondern sie miteinander zu verbinden. Die Frage ist, wo fangen wir an? Was wir uns neben all den Sorgen, die Corona auf der gesundheitlichen, aber auch wirtschaftlichen Seite mit sich bringt, dieses Jahr gefragt haben, ist: Kann Corona – allen widrigen Begleiterscheinungen und Sorgen zum Trotz – auch ein Katalysator für notwendige Veränderungen sein?
Mit Bridge&Tunnel haben wir ein Label gründet, das mehr will als nur hübsches Design zu gestalten. Wir brennen dafür, zu zeigen, dass es so viele Talente losgelöst von Zeugnissen gibt. Und dass es möglich ist, textile Reste als Ressource zu denken. Uns fasziniert die Vorstellung, dass man mit unternehmerischen Mitteln gesellschaftlich wirken kann. Gleichzeitig sind wir als Fair Fashion Label den gleichen Marktherausforderungen ausgesetzt wie klassische, rein wirtschaftlich agierende Labels. Das ist eine große Herausforderung für uns. Aber es motiviert uns auch über alle Maße. Für das kommende Jahr halten wir es deshalb mit Seneca: „Nicht weil es unerreichbar ist, wagen wir es nicht, sondern weil wir es nicht wagen, ist es unerreichbar.” Auf bessere Aussichten im neuen Jahr!!!!!